Die feine Hand des Reiters
- Patricia Kestel
- 24. Feb. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. März
Fein und leicht soll die Hand sein. Fühlend. Eine weiche Verbindung oder Anlehnung haben. Sie soll nachgeben oder auch mal annehmen. Das Gespräch soll sie suchen. Einen Rahmen geben. Doch was bedeutet das alles? Wie sieht das aus? Wie bekomme ich eine ruhige Hand? Wann gebe ich eine Hilfe und wie stark soll sie sein?

Allein die Begriffe Verbindung und Anlehnung verleiten vielfach zu Mißverständnissen und sind leider bis heute nicht eindeutig und einheitlich definiert. Sicherlich ist eine Beschreibung und Definition auch deshalb so schwierig, da es sich hier insbesondere um eine Angelegenheit des Gefühls handelt. Wenn hier die Anlehnung dann auch noch beständig sein soll, gibt es oft Ergebnisse, daß der Reiter eine zu straffe Handführung und einen zu streng anstehenden, durchhaltenden Zügel hat. Dies schafft Spannung an der Muskulatur des Genicks und gibt einen großen Druck auf die Zunge, die mit Zungenbein und der verbundenen Muskelkette am Hals dann gegenspannt.
In meiner Ausbildung spreche ich prinzipiell lieber auch von „Kontakt“ zum Pferdemaul. Ich habe bei einem Kontakt eine ganze Bandbreite von extrem leicht und fein - wie er eigentlich am durchhängenden Zügel ist - bis straff, was je nach Situation auch einmal erforderlich sein kann.
Wir dürfen uns hier auch schon einmal mit der Baucher'schen Forderung
"Hand ohne Bein - Bein ohne Hand"
befassen.
Dies ist eine sehr pferdefreundliche Art, sich dem Pferd verständlich zu machen. Es bedeutet, daß ich die Hilfen am Zügel dann einsetze, wenn der Schenkel/der Sitz still ist und umgekehrt. Das ist ein Umgang, eine Kommunikation, was für das Pferd immer verständlich und nachvollziehbar ist.
Ziel ist natürlich, einen so leichten Kontakt zum Pferdemaul zu haben, daß die Hilfengebung quasi über das Gewicht des Zügels reguliert wird. Das ist der Punkt, an dem das Pferd schon so weit und so gut an allen Hilfen steht, daß es sich nur am Sitz geritten selbst hält und trägt.
Es gibt leider kein Grundrezept, nach dem man sagen kann, daß man in Übung X Zügelmaß A braucht und in Übung Y Zügelmaß B. Das Zügelmaß, also die Länge der Zügel, die Intensität der Hilfengebung muß in jeder Situation immer wieder neu angepaßt werden oder werden können.
Um feine und sinnvolle Hilfen am Zügel geben zu können, braucht der Reiter zwingend einen zügelunabhängigen Sitz. Die Hand muß in ihrer Haltung und Bewegungsmöglichkeit frei und locker sein. Da sie das Ende der Arme darstellt, die wiederum an der Schulter angebracht sind, haben sie so eine indirekte Verbindung zum Körper. Das bedeutet, daß die Gelenkskette Schulter - Ellbogen - Handgelenk unbedingt locker und elastisch sein muß. Ist eine Position festgehalten, kann die Hand sich nicht mehr frei vom Körper bewegen. Sie übernimmt dann den Rhythmus des (verspannten) Körpers und kann nicht mehr weich im Rhythmus des Pferdes sein.
Da aber alles am Körper direkt oder indirekt miteinander verbunden ist, geht diese Kette eigentlich noch weiter. Denn die Schultern bilden die Verbindung der Arme zum Rücken. Dieser ist beim Reiten dann locker, wenn das Becken absolut frei und beweglich und ganz geschmeidig die Bewegungen des Pferdes begleiten kann. Sobald das Becken blockiert, macht sich dies gleich in der Zügelführung bemerkbar. Arm- und Handhaltung werden ebenso starr.
Es wird dann unbequem zu sitzen und um dies zu kompensieren wird dann das Gesäß mit klemmenden Schenkeln und ziehenden Zügeln am Pferd zu fixieren versucht. So kann dann keine präzise, feine Hilfengebung mehr möglich sein.
Die Hände stehen ruhig - nicht zu eng, aber auch nicht zu weit - nebeneinander und auf gleicher Höhe etwas über dem Widerrist. Sie zappeln nicht, rudern nicht, sind nicht hektisch oder sonstwie unkontrolliert.
Grundsätzlich muß der Zügelgebrauch immer fair und für das Pferd verständlich sein. Es wird immer fein angefragt und der Impuls ist immer sehr kurz, aber nie reißend oder ruckartig. Die Hand gibt "atmende" Hilfen. Die Zügelhilfe darf auch einmal deutlich sein, wenn die Situation (vielleicht eine kurze Korrektur) es erfordert. Ein Pferd wird dies niemals übelnehmen, wenn die Hilfe sehr kurz (und „atmend“) im Fluß der Bewegung gegeben wird und danach sofort wieder in feiner Manier weitergeritten wird.
Die „Zug“richtung nach hinten/rückwärts in Richtung Oberschenkel darf es nicht geben. In dieser Richtung quetscht das Gebiß die Zunge, was die gesamte Vorhand des Pferdes blockiert (abgesehen davon, daß es schmerzt).
Eine weitere nicht zielführende Richtung ist die nach unten drückende Hand. Man kann sich gut selbst korrigieren, indem man ab und zu schaut, daß die Hand IMMER die Position kurz VOR dem Sattel und leicht über den Mähnenhaaren beibehält - und dies auch während einer Hilfengebung! Diese Hilfengebung wird nur im feinen Spiel mit den Fingern ausgeführt oder indem man die Spannung der Zügelfaust erhöht bzw. erniedrigt.
Eine feine Hand erfordert immer ein sehr gutes Körpergefühl, denn es sollte keine Hilfe mit dem Arm gegeben werden (einzige Ausnahme bei der Korrektur von Pferden). Wandert die Hand nach hinten - und sei es auch nur um einen Zentimeter - so hat man schon eine Hilfe mit dem Arm gegeben und dort fängt die grobe Zügelführung mit nach rückwärts einwirkender Hand/Arm an.
Weiterhin kann eine Zügelhilfe - insbesondere eine Parade - nicht zeitgleich mit einer Schenkelhilfe gegeben werden. Ein Pferd, daß auf den Schenkel so konditioniert wurde, daß es bei Gebrauch vorwärts geht, kann dies nicht verstehen. Es sind in dem Moment zwei sich widersprechende Hilfen. Deshalb werden sie kurz nacheinander gegeben. Das können Sekunden sein, aber eben nacheinander. Eben gemäß des oben schon erwähnten und viel zitierten Grundsatzes von Bauchers „Hand ohne Bein, Bein ohne Hand".

Der Einsatz der Zügel sorgt insgesamt für die Balance und Lockerheit der gesamten Vorhand. So sollte der Reiter im Zuge seiner Ausbildung dazu kommen können, nicht nur über die Hand das Maul zu spüren, sondern auch das Genick, den Hals und die Schultern des Pferdes. Auch ob und in wiefern Festigkeiten an den bestimmten Positionen vorhanden sind, damit er weiß wie er seine Hand zu führen hat.
Achtung vor dem inneren Zügel!
Ein Wort sei noch zu dem inneren Zügel gesagt. Beim Einsatz von innerem und äußeren Zügel herrscht oft Unklarheit und es herrscht vielfach das Muster vor, den inneren Zügel über die Maßen zu gebrauchen.
Der innere Zügel gibt - eben auf dem Kreisbogen besonders - nur und ausschließlich Stellung und Biegung vor. Mehr nicht.
Möchte das Pferd auf dem Kreisbogen nicht abbiegen und droht diesen zu verlassen, kann dieser Gleichgewichtsverlust unter gar keinen Umständen durch starken Einsatz des inneren Zügels wieder hergestellt werden. Im Gegenteil. Durch Ziehen am inneren Zügel wird das Pferd dann verstärkt „verbogen“. Die Überlastung auf die äußere Schulter wird verstärkt und das Pferd wird trotz ziehen am inneren Zügel dem Übergewicht der äußeren Schulter hinterher geradeaus laufen. Hier ist eine Beständigkeit des äußeren Zügels die viel wichtigere. Natürlich muß der äußere Zügel aber so weich sein, daß er eine Biegung auch zuläßt.
Innen wird wenigst gearbeitet und der Zügel darf sich hier oft entspannen und auch mal sehr leicht sein solange das Pferd sich dabei korrekt hält. Läuft das Pferd in Biegung im Gleichgewicht, gibt der äußere Zügel soweit nach, daß das Pferd sich hierhinein entspannen kann.
Zum Abschluss möchte ich noch ein schönes und hilfreiches Zitat aus der Arbeit von Nuño Oliveira anbringen (aus "Notizen zum Unterricht", Band 3, Olms Verlag):
"Man muß eine unbewegliche Hand haben mit beweglichen Fingern. Ihre Hände müssen aus Zement sein, wenn das Pferd Widerstand leistet, und aus Butter, wenn es nachgibt. Bei einem feurigen Pferd dürfen sich die Finger nur selten schließen. Kleiner Finger und Ringfinger dürfen nachgeben der Daumen niemals."
Es gibt natürlich noch so viel mehr zu diesem Thema zu sagen. Aber das wichtigere ist sowieso die Praxis. Das Fühlen-lernen. Ein sehr guter Trainer wird dir helfen, dein gesundes Zügelmaß zu finden und einzustellen, eine gute Handführung für dein Pferd zu geben.
Noch ein gutes Zitat aus demselben Buch (aus der Arbeit von Nuño Oliveira anbringen (aus "Notizen zum Unterricht", Band 3, Olms Verlag), welches dem Zuviel und den unruhigen Händen vorbeugt:
"Je mehr man tut, desto weniger gelingt. Je weniger man tut, desto mehr geht."
Viel Spaß bei der feinen Kommunikation mit deinem Pferd wünscht
Patricia
Comentarios