top of page

Die Trageerschöpfung - Was bedeutet das eigentlich?

  • Patricia Kestel
  • 7. März 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. März

Derzeit ist sie in aller Munde - die Trageerschöpfung.


Es wird aktuell so viel darüber geschrieben und berichtet, daß ich mir eigentlich gesagt habe, daß ich nun nicht auch noch meine Meinung dazu geben muß.


Da vieles, was die Diagnose angeht, sehr richtig dargestellt wird, allerdings die therapeutischen Maßnahmen eher fragwürdig zu betrachten sind, möchte ich nun doch etwas Klärendes dazu sagen.


Vorab möchte ich deutlich betonen, dass nicht jedes Pferd, daß etwas untrainiert oder in unpassenden Fütterungszustand daher kommt, zwangsweise auch immer eine Trageerschöpfung hat!

Aktuell hat sich ein solcher Hype darum gebildet, dass Anbieter von "Anti-Trageerschöpfungsprogrammen" gerne jedes Pferd in diese Schublade stecken, ohne genauer hinzuschauen. Mit der Angst der Besitzer lässt sich bekanntlich gutes Geld verdienen.


Aber nun weiter zur Sache: dem ein oder anderen ist vielleicht mittlerweile bekannt, daß es sich bei der Trageerschöpfung um ein Absacken des Brustkorbes zwischen den Schulterblättern nach unten handelt.


Wie kann dies passieren?


Wir schauen erst einmal nur die muskuläre und knöcherne Situation an, die dies bei einem Pferd überhaupt zuläßt.


Der Brustkorb des Pferdes ist rein muskulär, mit Faszien- und Bandstrukturen zwischen den Schulterblättern an den vorderen Gliedmaßen befestigt. Dem Pferd fehlt hier also die sehr feste knöcherne Struktur eines Schlüsselbeins.

Der Brustkorb mit seinen Rippenbögen besitzt dann allerdings wieder eine recht stabile Verbindung zur Wirbelsäule.

Durch diese nachgiebigen Strukturen zwischen den Schulterblättern ist es möglich, daß diese durch ständige Überlastung und Überstrapazierung ermüden und der vordere Teil des Brustkorbes peu a peu nach unten durchsackt.


Dadurch, daß aber die Rippen relativ fest mit der Wirbelsäule verbunden sind - sie liegen in kleinen Gelenken, die mit festen Bändern gehalten werden, in den Wirbelkörpern und lassen nur kleine Bewegungen zu - wandert natürlich auch die Wirbelsäule in diesem Bereich mit nach unten.

In der Folge wird der Widerrist flacher zwischen den Schulterblättern, weil ich natürlich die Wirbelkörper mit ihren langen Dornfortsätzen am Widerrist nach unten verschwinden.

Die letzten Halswirbel sacken ebenfalls nach unten ab, weshalb der Ansatz des Halses tief kommt und das Pferd dadurch den Unterhals betont.

Das Brustbein senkt sich und ist seitlich deutlich zu sehen.


Nach hinten verändert sich die Lage der Rippenbögengelenke in den Wirbelkörpern. Die Rippen werden etwas aufgespreizt, weshalb das Pferd "bauchiger" aussieht.


Der Lendenbereich verändert seinen Winkel nach vorne ebenfalls nach unten, wodurch das Kreuzbein dahinter eher angehoben und gestreckt wird. Der Sitzbeinhöcker kommt etwas nach oben. Durch die damit verbundene Veränderung in der Beckenposition kommt das Pferd eher mit einer nach hinten ausfallenden Hinterhand daher oder aber mit einer leicht steilen Hinterhand.

Durch diese komplett veränderte Körperposition sieht das Pferd gleichzeitig überbaut aus, die Vorderbeine wirken kürzer und weil der Widerrist nach unten verschwindet, wirkt eben die Widerristposition niedriger im Verhältnis zur Kruppe.


Durch die Veränderung im Knochengerüst bauen sich in Folge auch die Muskeln um.


Am Hals werden die Unterhalsmuskeln herausgearbeitet. Auf der Oberseite verschwinden die Trapezmuskeln hals- und rückenseitig, so daß das Pferd leichte Kuhlen vor und hinter dem Schulterblatt aufweist.

Die Brustmuskeln bilden sich deutlich aus und treten stark hervor. Rückenmuskeln bilden sich nur langsam oder gar nicht heraus.

Die Kruppe wird eckig, die "Hosen" - der Semitendinosus - bilden sich zurück. Insgesamt ergibt sich ein immer unrunderes Erscheinungsbild.


Jeder Reiter kann anhand oben beschriebener optischer Symptome an seinem Pferd erkennen wie es körperbaulich dasteht.

In einem sehr frühen Stadium erkennt man das Problem aber vielleicht nicht sofort.


Weitere Symptome und Hinweise.


Folgende Hinweise sind wichtig und zu beachten:

  • Das Pferd läßt sich nicht gerne satteln (Sattel-/Gurtzwang)

  • Das Pferd hat mehr Freude an der Bodenarbeit, zeigt aber große Unlust beim Reiten

  • Beim Reiten wird es öfter als seinem Temperament angemessen, hektisch und läßt sich leichter stressen.

  • Möglicherweise reagiert es aus nichtigem Grund beim Reiten urplötzlich panisch, bockt ggf. sogar solange bis der Reiter unten liegt.

  • Es läßt sich schwer stellen und biegen und hat Probleme mit der Genicknachgiebigkeit.

  • Es geht ungern und wenig vorwärts, wird triebig.

  • Oder das Gegenteil: es fängt das Rennen und Eilen an und läßt sich schwer halten.

  • Es stolpert öfter und/oder tritt sich in die Ballen vorne.

  • Eine ordentliche Versammlung wird unmöglich.

  • Das Pferd löst und lockert seine Muskeln nicht mehr.

  • Muskeln bauen an den falschen Stellen auf.

  • Die Hufe verformen sich: z.B. kann die Zehe vorne sich unnatürlich verlängern.

  • Chronische oder diffuse auch immer wieder kehrende Lahmheiten treten auf.

  • Sehnen- und Gelenkprobleme.

  • Chronische Muskelscherzen.

  • Taktunreinheiten sind auch eine Folge davon.

  • Husten beim Training.


Ist das Pferd erst einmal körperlich in dieser Art umgebaut und umgeformt, kann es sich nicht mehr locker und frei bewegen, geschweige denn einen Reiter tragen.


Darüber hinaus kann es sich in diesem Zustand auf keinen Fall mehr schadfrei tragen und bewegen. Sämtliche Gelenke, Sehnen und Bänder sind in einer dauerhaften Fehlbelastung und Schäden an den sämtlichen Strukturen sind garantiert vorprogrammiert.


Wie man sich anhand der Beschreibung vorstellen kann, ist dies ein Prozess, der sich schleichend einstellt und oft bemerkt man den Zustand erst, wenn die Situation sich schon extrem darstellt.


Wie kommt solch eine Trageerschöpfung zustande?


Es gibt viele Ursachen, aber als Haupt- und am meisten verbreitete Ursache ist leider, leider


das falsche Training zu nennen,


namentlich das Vorwärts-Abwärts-Reiten bzw. jegliches Reiten, das mit zu tief eingestelltem Pferd zuviel Gewicht auf die Vorhand bringt.


Ich muß hier einmal anmerken wie unglaublich hartnäckig sich Bilder als positiv eines vermeintlich korrekten Reitens halten, die nach den physikalischen und biomechanischen Gesetzen über kurz oder lang aber nur zu Schäden am Pferd führen können. Unvermeidlich. Immer. Garantiert.

Mir persönlich ist es schleierhaft, daß trotz der Erkenntnisse immer noch an den biologischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten vorbei gearbeitet wird. Und das wider besseren Wissens.


Ein Pferd, daß nach vorne tief geritten wird, kann und wird niemals seinen Widerrist zur Entlastung der Vorhand anheben können. Das ist per Naturgestz nicht möglich. Im Gegenteil, es wird vorne mehr und mehr belastet und bekommt per Naturgesetz eine Überlastung der Vorhand (= Vorderbeine+Widerrist+Brustkorb+Hals) verpaßt.


Zur Erklärung und zum Verständnis dazu weiter unten noch etwas mehr.


Weitere Ursachen können sein:


  • Stuten, die ohne Training viele Fohlen austragen mußten.

  • Pferde, die sehr lange stehen, nicht gearbeitet werden und dabei tendenziell eher zu reichlich Futter bekommen.


Dinge, die eine Trageerschöpfung außerdem begünstigen sind:

  • Falsch angepaßte Sättel

  • Falsche oder schlechte Hufbearbeitung

  • Falsche (diesem Pferd nicht entsprechende) Haltungsbedingungen


Spätestens dann also, wenn das Pferd körperlich deutlich dem oben beschriebenen Schema entspricht, MUSS der Reiter die Reißleine ziehen und Gegenmaßnahmen ergreifen.


Ich persönlich verurteile keinen Reiter oder zeige mit dem Finger auf ihn, wenn er solch ein Pferd besitzt.

Jedem kann das passieren, alle sind nur Menschen, Fehler zu machen ist total normal, viele Dinge passieren und entwickeln sich ja eh aus Unwissenheit.

Manchmal kauft man ein Pferd "gebraucht" und hat vielleicht auch nicht gleich wahrgenommen, daß das Pferd schon in einer soliden Trageerschöpfung steckt.

Das ist alles kein Thema und niemand muß im Erdboden versinken mit so einer Diagnose.


Problematisch wird es aus meiner Sicht aber, wenn man in dem gleichen Stiefel weitermacht und nur an einzelnen Symptomen rumdoktort.


Es ist hier ein komplettes Überdenken der bisherigen Maßnahmen und Methoden vonnöten.


Macht man das nicht, wird man früher oder später ein unreitbares Pferd mit andauernden Krankheitsbildern bekommen. Garantiert!


Die gute Nachricht ist, dass man das Pferd mit gutem Training aus seiner falsch eingestellten Körperhaltung wieder herausholen kann.

Es erfordert ein gutes Programm und viel Geduld, denn der Prozess kann sich über Monate, wenn nicht gar Jahre hinstrecken.

Wie man das anstellt und was die Grundvoraussetzungen dafür sind, kannst du hier nachlesen.


Wenn dir dieser Beitrag gefällt, lass mir gerne ein "Like" da oder hinterlasse gerne einen Kommentar dazu.


Wünscht du dir weitere Beratung oder Unterstützung zu diesem Thema, nimm gerne Kontakt zu mir auf.


Comments


Kestel-Pferdewelt

Klassisch-barockes Reiten - Ganzheitliche Pferdeausbildung - Reitunterricht in München - Life-Coaching mit Pferden

 

© 2021 Site by Patricia Kestel created with Wix.com

© 2021 Titelfoto Laura Reinisch Photography

bottom of page