Der Gebrauch und Einsatz der Gerte
- Patricia Kestel
- 4. Apr. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Sept. 2024
Viele Pferdefreunde kritisieren und meiden die Gerte und auch die Peitsche als Instrument und Sinnbild von Gewalt am Pferd.
Sicherlich. Es gibt Szenen, in denen Reiter jegliche Beherrschung verlieren und wutentbrannt auf ihr Pferd losgehen. Bestimmt sind diese Bilder schnell im Kopf und bleiben lange auf dem inneren Bildschirm haften, wenn der Pferdefreund eine Gerte in der Nähe seines Schützlings sieht.
Diese Bilder zeigen aber leider den Mißbrauch eines sehr wertvollen Werkzeugs an. Man sollte sich durch diese Bilder nicht beeinflussen lassen und sich die Chance auf eine feinere Kommunikation mit diesem Instrument nehmen lassen.
Denn letztlich liegt es also - wie so oft bei den Werkzeugen - am Menschen, was er aus dessen Gebrauch macht: schnitzt er mit dem Messer ein Kunstwerk oder mordet er heimtückisch mit eben jenem Messer ein Lebewesen? Das gilt auch für Peitsche und Gerte.

Gerte als auch Peitsche sind und sollen ein Kommunikationsmittel sein, ein Werkzeug für eine feinere Kommunikation.
Da man als Mensch im Vergleich zum Pferd körperlich eingeschränkt ist - zu langsam, geringe körperliche Reichweite mit den Gliedmaßen - soll die Gerte es einem erleichtern, dem Pferd auf möglichst präzise Art mitzuteilen, auf welche Weise es genau seine Beine setzen soll, wo es ein Mehr an Engagement bedarf usw.
Gerte und Peitsche sind schlicht ein unendlich nützliches Hilfsmittel und gehören für mich als Trainer unbedingt in die Ausbildung. Die Gerte dient als Zeigestöckchen, als Verlängerung meines Arms, natürlich auch einmal, um meiner Anweisung Nachdruck zu verleihen.
Weil ich sie habe, muß ich sie bei meinen Pferden, die ich in Ausbildung habe, wenig oder fast nie benutzen. Diese Hilfsmittel sorgen letzten Endes dafür, daß ich ein fein reagierendes Pferd erhalte.
Später in der Ausbildung dürfen auch die Sporen eingesetzt werden. Aber diese sind für die Verfeinerung der ohnehin schon hoch präzisen Hifengebung gedacht. Auch der Sporen wird oft mißverstanden und dann mißbräuchlich eingesetzt. Dieser wird gerne mal für ein Mehr an Vorwärts, Schwung etc. mißbraucht. Und genau dafür ist er eben nicht gedacht. Aber darüber mehr in einem anderen Kapitel.
Natürlich ist die Gerte schon auch dazu da, dem Pferd anzuzeigen, daß es mich und meine Hilfe immer und sofort ernst zu nehmen hat.
So kann die Gerte den Schenkel unterstützen, der eventuell nicht gehört oder vom Pferd ignoriert wird. Die Konsequenz ist, daß ich ein Pferd erhalte, was immer fein auf meinen Schenkel bzw. Sitz reagiert. Andernfalls müßte ich ja mit dem Schenkel mehr und mehr Kraft aufwenden, um meiner Hilfe Gehör zu verschaffen. Das wäre dann der direkte Weg, um mein Pferd am Schenkel abzustumpfen. So viel zum Grundsatz des Daseins einer Gerte - und auch Peitsche.

Zunächst hier noch eine grobe Übersicht über die wichtigsten und gängigsten Arten von Gerten und Peitschen.
Die verschiedenen und gebräuchlisten Arten von Gerten und Peitschen:
Dressurgerten:
Ein gerader, sehr biegsamer Stock mit wenig oder keinem „Schlag“ (= Schnur am Ende der Gerte) und einem Griff am oberen Ende. Es gibt sie in Längen von 50 cm bis 1,40 m. Auch 1,60 m-Gerten gibt es. Diese eignen sich jedoch fast besser als Touchier-Gerte für die Arbeit vom Boden aus. Früher waren diese Gerten aus Holz, z.B. Rose, Quitte, Haselnuss oder Weidenstäbe. Am Ende haben sie ggf. Schnüre mit einem „Busch“. Die heutigen, üblichen Gerten bestehen aus Fiberglas.
"Die Gerte besteht aus besonderem Birkenholz und wird vom Reiter in der rechten Hand gehalten. Sie darf nicht länger als 1,35 m sein. [...]" (aus "Barockes Reiten", François Robichon de la Guérinière, Cadmos Verlag)
Springstöcke:
Eine kurze Gerte mit kleiner Klatsche (meist ein Lederstück) am Ende.
Jockeygerte
Ähnlich wie die Springstöcke.
Fahr- und Bogenpeitschen:
Das sind längere Stöcke mit Längen von ungefähr 1,40 - 2,0 m mit kurzem bis mittlerem Schlag (50-60 cm). Letztere nutze ich sehr gerne für die Bodenarbeit als Ersatz für die normale Peitsche mit langem Schlag. Der weiße Schlag kann von den Pferden sehr gut gesehen werden und sie werden bei Berührung damit nicht aus dem Nichts "überfallen". Außerdem kann man damit sehr gut auch auf kürzere Distanz arbeiten.
Longierpeitsche:
Ein langer Stock von ca. 1,80 - 2,50 m mit ebensolcher Länge des Schlages.
Geschichtlich wurden in der klassischen Ausbildung seit jeher Gerten und Peitschen verwendet. Schon de la Guérinière beschrieb in seiner Lehre den Gebrauch und Einsatz der Gerte als auch der Peitsche.
Die Gebrauchsweise der Gerte
Die Gerte setzen wir auf vielfältige Weise ein: Sie ist nicht dazu gedacht, dem Pferd per se einfach nur einen Klaps oder Klatscher zu geben.
Zuerst einmal kanst du mit der Gerte arbeiten, ohne das Pferd zu berühren. Du zeigst in bestimmte Richtungen und auf bestimmte Körperregionen des Pferdes und die Gerte ist dann (vom Boden aus) dein verlängerter Arm.
Du kannst sie auf und nieder wedeln oder sie etwas durch die Luft zischen lassen, um das Pferd aktiver zu machen und energetischer treten zu lassen. Oder um die Aufmerksamkeit bei Ablenkung zurück zu holen.

Beim Reiten unterstützt die Gerte üblicherweise den Schenkel und hierbei normalerweise den jeweils inneren Schenkel. So kannst du durch Touchieren der Kruppe das innere Hinterbein mehr engagieren, entweder für mehr Schwung/Impulsion oder mehr Kadenz. Verwendest du die Gerte hinter dem Schenkel am Bauchmuskel, sorgt die Gerte für mehr Sensibilität im Seitwärts.

Die Gerte findet Stabilität beim Reiten, indem sie auf dem Oberschenkel des Reiteres abgelegt wird und durch Drehen des Handgelenks kannst du, ohne das Pferd im Maul zu stören, ruhige Hilfen mit der Gerte geben.
Das Pferd wird mit der Gerte berührt = "touchiert".
Grundsätzlich „touchierst“ du dein Pferd mit der Gerte. „Touchieren“ ist ein französischer Begriff und bedeutet „berühren“. Also nicht gleich drauf klatschen, sondern immer erst sehr freundlich, fein und leicht "anfragen". Reagiert das Pferd auf das leichte Berühren nicht, wiederholst du die leichte Hilfe in kurzer Abfolge hintereinander als wäre sie ein Glöckchen. Du nervst dein Pferd, damit es endlich (sofort) das umsetzt, was du gefordert hast.
Und nun ist es schon wichtig, dann auch mit der Gerte zu verstärken, falls das Pferd NICHT reagiert. Dieser Punkt ist immer immens wichtig und darf nicht übergangen werden. Denn sonst würdest du dir ein Pferd heran ziehen, das auf die leichte Hilfe nicht mehr reagiert und du müßtest in Zukunft immer gleich sofort viel grober werden mit deiner Hilfe. Und das Pferd würde dich auch nicht mehr ernst nehmen. Weil es dadurch lernen würde, daß du es (aus seiner Sicht) nicht ernst meinst.
Je nach Position der Gerte kannst du z.B. den Schenkel direkt ver- bzw. bestärken oder auch Einfluß auf die Hinterhand nehmen, um diese mehr zu engagieren.
Bei der Verwendung der Gerte ist - wie bei allen Hilfen - auch hier auf große Präzision zu achten. Wenn du vom Boden aus arbeitest, gibt es bestimmte und feste „Touchierpunkte“, die konsequent einzuhalten sind. Sie dürfen nicht verändert werden. Denn im Sinne der Klarheit der Pferde, müssen diese Hilfen immer das Gleiche bedeuten. Sonst kann das Pferd nicht mehr präzise die Übungen und Bewegungen ausführen, weil es ungenaue "Wischi-Waschi-Infomrationen" bekommt. So gibt es Touchierpunkte für das Vorwärts, für die Hankenbeugung, für das Kreuzen der Hinterbeine, das Vorsetzen der Hinterbeine, für Halt und Rückwärts, für das Anheben des Vorderbeins usw.
In dieser Galerie siehst du feine Möglichkeiten, präzise Bewegungen vom Pferd abzufragen (auf das erste Bild klicken und du kannst die Bildunterschriften dazu lesen):
Touchieren oder Zeigen

Zeigen am hinteren Röhrbein im Halt. Dies sollte zu Aktivität führen; das Pferd sollte das Bein heben oder auch gleichzeitig vorsetzen.

Berühren am hinteren Röhrbein seitlich für ein Heben des Beines und auch ein übertreten und kreuzen über das andere Hinterbein.

Sehr schönes und aktives Anheben des Hinterbeines allein durch leichtes Berühren.
Ich hoffe, ich konnte dir Vorbehalte gegen dieses an sich sehr gute Hilfsmittel nehmen. Es würde mich freuen, wenn du mithilfe dieses kleinen Einblicks in die Verwendung der Gerte zu einer guten und feinen Kommunikation mit deinem Pferd finden kannst.
Viel Spaß dabei wünscht dir Patricia
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