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Das Sperr- oder Reithalfter - Sinnvoll und pferdegerecht?

  • Patricia Kestel
  • 24. Feb. 2022
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Feb. 2022

Von den Köpfen der Reitpferde ist es kaum noch wegzudenken. Überall können wir es sehen: das Sperrhalfter in seinen unterschiedlichen Ausführungen.
Selten wird beim Reiten mit Gebiß darauf verzichtet. Es wird als unverzichtbares Accessoire empfunden und gebraucht. So hat es natürlich viele nützliche Aspekte. Leider sieht man oft falsch verschnallte und vor allem fast immer zu eng zugebundene Sperrhalfter. Manche Typen des Sperrhalfters sind zudem für einige Pferde auch völlig ungeeignet und unpassend, werden aber trotzdem verwendet. Bei Pferden mit sehr kurzer Maulspalte eignet sich z.B. kein hannoversches Reithalfter, da man damit die Trense in die Mundwinkel drückt. Und dann verliert es seine Sinnhaftigkeit.

Ich persönlich bin eigentlich ein Freund von „Je weniger Leder am Pferd, umso besser“, aber auch das Sperrhalfter kann durchaus mal eine nützliche Ergänzung sein, wenn man es richtig einsetzt.


Schauen wir uns das Sperrhalfter und seine Wirkung genauer an:


Das Sperrhalfter besteht aus einem Nasenriemen und einem Backenstück. Beide sind in der Länge verstell- und anpassbar. Es ist Bestandteil des übrigen Zaumzeugs, bestehend aus Backenstück, Kehl- und Stirnriemen, Gebiss und Zügel.


Wie schon der Name sagt, soll das Sperrhalfter das Pferd am Aufsperren des Maules hindern, damit es sich also nicht den Reiterhilfen der Hand entziehen kann.

So soll es dem Reiter eine Unterstützung sein, sich mit seinen Handhilfen besser, präziser und deutlicher verständlich zu machen.


Außerdem stützt und entlastet es den Unterkiefer bei Zügeleinwirkung. Wenn der Druck sich auf das Maul so erhöht, daß das Pferd es aufsperrt, muß das Pferd nicht den gesamten Druck mit dem Maul abstützen, da ein Teil des Druckes auf den Nasenriemen und das Nasenbein umgelenkt werden.


Hier liegt bei vielen Reitern ein Mißverständnis vor. Das Sperrhalfter dient nämlich nicht dazu, dem Pferd mittels straffem Zubinden des Maules jegliche Möglichkeit zu nehmen, sich dem Reiter mitzuteilen. Dazu zählen Schmerzäußerungen - wie das Aufsperren und Zunge herausstrecken - genauso wie deutliche positive Reaktionen - z.B. besonders aktive Beschäftigung mit dem Gebiß und Kauen.


Grundsätzlich ist das mehr oder weniger weite Aufsperren des Maules eine Schmerzreaktion des Pferdes auf eine zu grobe Einwirkung der Reiterhand. Es möchte dem hohen Druck auf die Zunge ausweichen, indem es sein Maul aufreißt und eventuell auch gegen das Gebiss drückt.

Das Pferd sollte sich zu einer unangemessenen Hilfe äußern dürfen. Daher ist es wichtig zu sehen, wann es sperrt und wann nicht. Es ist ein wichtiges Feedback für den Reiter, etwas an den Hilfen oder an sonstigen Blockaden beim Pferd zu optimieren und zu korrigieren.

Und auch nur, wenn ich auf diese Zeichen achte und meine Hand entsprechend einstelle und nachkorrigiere, kann ich feiner und feiner in der Hilfengebung werden.


Die meisten Reiter schnüren aber dann ihren Pferden die Mäuler zu, damit man dieses unschöne Aufreißen des Maules nicht sehen und das Pferd so auch nicht gegen die Hand gehen kann.

Somit gehen diesen Reitern aber wichtige Informationen, die ihnen das Pferd gibt, verloren. Darüber hinaus wird beim Pferd eine Frustration hervorgerufen, Blockaden werden übersehen, nicht gelöst und es kommt zu mehr Verspannungen.


Auch Pferden, die im Maul verdorben wurden und die Zunge herausstrecken, wird gern das Maul eng verschnürt, um es am Zungenstrecken zu hindern, ihm die „Unart“ abzugewöhnen. Und ich glaube auch, um sich letztlich nicht mit einem solch peinlichen Pferd öffentlich zu zeigen.

Eine herausgestreckte Zunge ist aber auch eine Information vom Pferd, die der Reiter ernst nehmen muß und nicht übergehen darf. Es ist tatsächlich eine rechte Verzweiflungsäußerung des Pferdes und es muß daher angeschaut werden. Es darf nicht durch Zubinden des Maules kaschiert werden.

Ich würde auch keinen Reiter verurteilen, der einmal in eine Situation gekommen ist, daß er sein Pferd aus Unwissenheit und Hilf- oder Ratlosigkeit zu grob angefaßt hat. Wir machen alle Fehler und in der Reiterei hat man ja schließlich tausend Gelegenheiten dazu.

Mein Verständnis endet allerdings da, wo der Reiter einfach tut, als wäre nichts, weitermacht und dieses Thema nicht anschauen und korrigieren möchte. Das wäre sehr unfair dem Pferd gegenüber und nicht pferdegerecht.

Ein solcher Zungenfehler muß also durch eine gute und fühlende Reiterhand korrigiert werden. Dann bleibt die Zunge auch dann wieder im Maul, wenn es überhaupt kein Sperrhalfter gibt.

Also, auch dies ist kein Drama - man muß es aber angehen.


Aber auch ein zufriedenes und tätiges Pferdemaul ist nicht immer unbedingt ganz geschlossen. Es gibt durchaus sehr „gesprächige“ Pferde, die einem die ganze Zeit etwas „erzählen“ müssen und permanent kommunizieren, je nach Charakter. Auch das sollen Pferde unbedingt zeigen dürfen. Auch das ist ein wichtiges Feedback für den Reiter.


Für den guten Reiter mit einer weichen, fühlenden Hand hat das Sperrhalfter aber natürlich noch einen positiven Sinn: eben auch diesen, daß das Pferd das Maul nicht ZU weit aufsperren kann und sonst die gute Kommunikation verweigert. Das richtig verwendete Sperrhalfter bewirkt, daß ich als Reiter sehr fein und leicht auf das Gebiss einwirken kann und ein gutes, angenehmes, feines Gespräch mit dem Pferdemaul führen kann. Das Pferd kann damit lernen, einen guten Kontakt zur Reiterhand zu finden und zu halten. Es stabilisiert in gewisser Weise auch die Lage des Gebisses, hindert es am seitlichen Verrutschen und kann vom Pferd nicht unter die Zunge verschoben werden.


Es kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu, der sich auf die Lage des Sperrhalfters am Kopf des Pferdes bezieht. Das ist die Atmung. Wir schauen uns dies anhand der unterschiedlichen Typen von Sperrhalftern an.


Hier die gängigsten und gebräuchlisten (und noch sinnvollen) Arten der Sperrhalfter:

Als erstes sehen wir das Englische Sperrhalfter. Es wird oberhalb vom Gebiß angelegt und verläuft unterhalb vom Backenstück der Trense, hat einen, zumeist etwas breiteren, Nasenriemen, der relativ weit oben auf dem Nasenrücken zum Liegen kommt. Er wird ca. zwei Finger breit unterhalb vom Jochbein verschnallt. Der Riemen darf nicht an die Kante des Jochbeins stoßen oder darauf liegen, da hier Nerven liegen und diese Verschnallung für das Pferd höchst unangenehm ist. Der Nasenriemen wird so zugeschnallt, daß noch gut zwei Finger zwischen Riemen und Nasenbein passen.


Der Nasenriemen liegt auf dem knöchernen Teil des Nasenbeins auf, so daß es nicht auf dem knorpeligen Teil des Nasenrückens zum Liegen kommt und er liegt auch weit entfernt von der sogenannten „Blähzone“ der Nüstern. Das ist der Bereich der Weichteile der Nase, der sich bei starker Belastung sehr weit aufdehnt, um eine gute Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten. Im Bild ist er jeweils rot schraffiert gekennzeichnet, um darzustellen wie weit nach oben diese Zone reichen kann. Eine Atemeinengung ist also bei dieser Art Zäumung nicht zu befürchten. Dadurch, daß es relativ weit oben zum liegen kommt, ist der Sperrwirkung relativ.


Dies ist für das Pferd eine sehr angenehme Zäumung, da es kaum störenden Einfluß nimmt, aber dennoch für eine feine und gute Kommunikation sorgen kann. Vor allem bei Pferden mit kurzer Maulspalte ist es das Mittel der Wahl.


Noch ein bißchen mehr zur Anatomie:

Zu sehen im Bild ist außerdem der Atlas (1), der 1. Halswirbel, und der Axis (2), der 2. Halswirbel. Im Genickbereich gibt es außerdem Schleimbeutel (3) (Bursa) die sich bei zuviel Druck entzünden können. Über diesen Schleimbeuteln verläuft das lange Nackenrückenband (4), das hier nicht ganz vollständig dargestellt ist, denn es fehlt die Nackenplatte, die das Nackenband mit den einzelnen Wirbelkörpern der Halswirbelsäule verbindet.


Sehr gebräuchlich und weit verbreitet ist das Hannoversche Sperrhalfter. Hier werden Kinn- und Nasenriemen mit einem Ring verbunden, an dem auch das Backenstück angesetzt ist. Das Nasenband liegt vor dem Gebiß und liegt in der Kinngrube.


Diese Zäumung erfordert von der Anatomie eine ausreichend lange Maulspalte, damit der Kinnriemen auch vor dem Gebiß in der Kinngrube zum Liegen kommen kann ohne auf das Gebiß/die Trense zu drücken. Das Nasenband muß mindestens vier Finger oberhalb vom Nüsterrand verschnallt werden und es MÜSSEN ebenfalls mindestens vier Finger zwischen Nasenrücken und Lederriemen passen, da das Nasenband recht weit unten am Pferdekopf auf der Blähzone liegt. Die Atmung darf hier nicht durch zu enge Verschnallung eingeschränkt werden.


Auch darf das Nasenband mit dem Ring auf keinen Fall auf dem Gebißring zum liegen kommen und so das Maul einklemmen und die Funktion des Gebisses behindern. Völlig ungeeignet ist dieses Sperrhalfter bei vielen Pony-Typen, aber auch viele Araber besitzen eine kurze Maulspalte, so daß auch hier die Zäumung zu überdenken wäre. Dieses Sperrhalfter hat aufgrund der tiefen Lage am Kopf die größte Sperrwirkung.


Wird das Sperrhalfter passend verwendet, kann es vor allem bei jungen Pferden helfen, diese schonend an das Gebiß zu gewöhnen, indem man den Zügel zusammen in den Ring des Sperrhalfters und des Gebißrings verschnallt, so die Wirkung des Gebisses abmildert. Auch kann man bei der Remonte zur Gebißgewöhnung vierzügelig reiten und zunächst nur die Hilfengebung über den Nasenriemen geben und die Gebißzügel passiv in der Hand mitführen. So ist das hannoversche Sperrhalfter ein nützliches Utensil.


Ebenfalls weit verbreitet ist auch das kombinierte Sperrhalfter. Es vereint im Grunde das englische und das hannoversche Sperrhalfter, wobei der Ring am vorderen Nasenriemen fehlt. Am oberen etwas dickeren Nasenriemen, der wie bei der englischen Zäumung verschnallt wird, ist auf dem Nasenrücken mittels einer Schlaufe ein „Pullerriemen“ angesetzt. Dieser verläuft über und vor dem Gebiß in der Kinngrube. Wird der Pullerriemen ordnungsgemäß verschnallt mit ca. vier Finger breit zwischen Riemen und Kopf, wäre er, was die Atmung anbelangt, die bessere Variante zum hannoverschen Sperrhalfter, denn er würde weiter oberhalb der Blähzone verlaufen.


Leider wird dieses Sperrhalfter fast immer dazu verwendet, um dem Pferd das Maul besonders fest zuzubinden, was mit zwei Nasenriemen am Kopf natürlich besser geht, als nur mit einem. Werden die Nasenriemen außerdem etwas zu tief verschnallt, können sie dann auch bei zu enger Verschnallung die Atmung extrem behindern.


Ideal ist es, wenn ich im Pferdetraining auf die Verwendung eines Sperrhalfters verzichten kann. Es gibt aber viele Fälle und Situationen, wo die positive Anwendung dann auch positive Ergebnisse zeigt wie oben am Beispiel der guten Reiterhand schon erwähnt. Bei jungen Pferden kann es wie beschrieben hilfreich sein.


Aber auch bei Korrekturpferden, die lange schon geritten wurden, aber nie gelernt haben, einen positiven, leichten und weichen Kontakt zur Reiterhand zu finden.


Natürlich kann dieses Hilfsmittel nie Mängel der reiterlichen Qualifikation ausgleichen. Dazu ist es eben nicht gedacht. Es gibt in der Reiterei keine Abkürzung. Und auch das tollste Hilfsmittel wird ein schnelleres Vorankommen beschleunigen. Es kann eben eine gute Ergänzung sein, aber nicht Mittel zum Zweck.


So also nochmal mein kleiner Appell an dich oder euch: Laßt eure Pferde sprechen. Verbietet ihnen nicht das Wort. Auch - oder erst recht nicht, wenn es unangenehm für euch sein sollte. Bitte also das Sperrhalfter immer locker verschnallen.


Wir haben also gerade gelernt:

Im positiven Sinne verhilft das Sperrhalfter zu einer feineren Kommunikation. Es verteilt Druck am Kopf des Pferdes und kann das Maul entlasten und es gibt dem Unterkiefer Unterstützung.

Wird das Sperrhafter mißbräuchlich eingesetzt, dem Pferd damit im Prinzip lediglich das Maul fest verschnürt, verfehlt es seinen Sinn der guten und feinen Kommunikation.


Probiert einmal aus, welches von diesen für euer Pferd geeignet ist. Und vielleicht geht es ja auch mal ganz ohne. Wir werden an anderer Stelle noch darauf zu sprechen kommen. Nämlich wenn es um die Mobilisation des Kiefergelenks, das Abkauen - die Cession de Machoire - geht.


Viel gute Kommunikation mit euren Pferden wünscht Patricia

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