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Endlich! Das eigene Pferd ist da! Und dann kam alles ganz anders....

  • Patricia Kestel
  • 6. Dez. 2021
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 28. Feb. 2022

Endlich ist er da. Der Traum. Dein Traum vom eigenen Pferd! Juchhu! Es steht tatsächlich endlich im Stall. Du hast es Probe geritten. Vielleicht ein paarmal. Natürlich ist es wunderschön. Freundlich und lieb ist es. Im Gelände war es super zuverlässig.



Nun ist es im heimatlichen Stall und wartet jeden Tag auf dich. Aber upps: Nach einigen Tagen oder Wochen stellst du eine Veränderung fest. Statt daß dein Pferd die Unruhe abbaut, wird es eher angespannter. Etwas aufgeregter. Es interessiert sich immer mehr für das andere Geschlecht, für Gras, Futter und Koppel. Arbeiten, Geländeritt - Fehlanzeige. Keine Konzentration mehr vorhanden. Dein Pferd ist mehr und mehr verspannt und aufgeregt, wenig zuverlässig. Das Reiten fühlt sich immer weniger angenehm an. Beim Führen zerrt es an dir rum, beim Reiten häufen sich kleine Buckler und Lospreschen kommt leider auch schon vor.


Irgendwie hast du dir das doch alles ganz anders vorgestellt. Schön. Entspannt. Harmonisch. Du hast dich als friedvolle Einheit mit deinem Pferd gesehen und ein grauer Alltag läßt dieses Bild zerplatzen. Irgendwann ein paar kleine Stürze. Dein Pferd wird dir unheimlich. Du erkennst es nicht wieder. Ist dies tatsächlich das gleiche Pferd, das du damals beim Probereiten genossen hast? Was ist passiert? Warum läuft das jetzt nicht rund?


Es gibt sie doch immer wieder.... Die große Überraschung, wenn du als frisch gebackener Pferdebesitzer merkst, daß dein Pferd, das du dir so sehr gewünscht hast, und von dem du dir eine harmonische Freundschaft, angenehme Dressurarbeit und traumhafte Geländeritte erhofft hast, das eben dieses sündteure Fellwesen ganz andere Vorstellungen von eurem Zusammensein hat. Wie schon gesagt - Futter, Koppel, Kumpels sind plötzlich am wichtigsten; du bist total abgemeldet.

Es gibt täglich mehr Streß und Ärger als Freude und Harmonie. Spaß geht anders.... Da können sich schon mal Frust und Enttäuschung einstellen. Sie können dann eine positive Entwicklung zusätzlich blockieren.


Da es sich um eine Ent-Täuschung handelt, wird auch schnell klar, daß man sich zuvor (selbst) ge-Täuscht hat. Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft sehr weit auseinander. In stark überfordernden Situationen kann es zu sehr belastenden Empfindungen bis hin zu einer Art von Burn-out kommen.


Viele sind sich allerdings nicht im Klaren, was es bedeutet, wenn das neue Pferd zu ihnen kommt. Das erste ist einmal, daß das Pferd mit einer völlig neuen Umgebung zurecht kommen muß. Alles ist anders: die Geräusche, die Luft, die Gerüche, die Umgebungsenergie. Alles Dinge, auf die Pferde sensibel reagieren. Dann die neuen Pferdekumpels. Da muß man sich als Pferd auch erst mal einsortieren und schauen wie die alle so ticken. Und dann noch die neuen Menschen, die Stallbetreiber, Pfleger. Neue Energien, Verhaltensweisen (... und Gerüche...).

Nicht zu vergessen: das neue Futter. Das Heu ist anders, wird anders gegeben und vielleicht gibst du ihm noch anderes Zusatzfutter, das sein Verdauungstrakt noch nicht gewohnt ist.

Dann noch ein neuer Reitplatz, neue Reithalle, neue Energie... Und deine Art zu reiten ist ganz sicher anders, als es das zuvor gewohnt war.

Du siehst - da kommt ganz schön was zusammen, an was man sich da so neu gewöhnen muß als Pferd. Und was ist schließlich ein Pferd? Richtig! Ein GEWOHNHEITSTIER.

Es dauert also bis das alles für dein Pferd nicht mehr aufregend ist, sondern ruhiger und normaler Alltag.



Vielleicht hilft es dir ja auch zu wissen, daß dein Pferd circa ein halbes Jahr braucht, bis es sich am neuen Stall heimisch und zuhause fühlt. Der eine braucht da länger, der andere nicht - aber so um den Dreh dauert es. Vielleicht gibt es dir mehr Gelassenheit, wenn dein Pferd sich in den ersten sechs Wochen furchtbar aufführt, weil du weißt, daß das im Moment noch normal ist und in fünf Monaten ganz anders aussehen wird.

Ich empfehle dir allerdings, dein Pferd trotzdem normal zu handhaben. Keine rosa Samthandschuhe bitte. Keine Ruhephase nach dem Stallwechsel. Denn dieser ist schließlich keine Krankheit.




Kleiner Tipp am Rande:

Da Pferde als Gewohnheitstiere Routinen lieben, würdest du deinem Pferd helfen, wenn du zeitnah welche einrichtest. Das gibt ihm viel mehr Sicherheit und damit auch Ruhe, als wenn es sich zu sehr sich selbst überlassen ist.

Z.B. kannst du gleich anfangen mit der täglichen Putzzeremonie: Anbinden, putzen und konsequent darauf achten, daß dabei nicht gezappelt wird. Dann etwas Longenarbeit dazu: eine halbe Stunde ordentliches Longieren (nicht "Zentrifugieren"!) fördert nicht nur die Muskulatur des Pferdes, sondern auch eure Beziehung. Und so weiter. Dann kommt mit der Zeit Ruhe rein.

Und sollte dein Pferd in den ersten Wochen dich herausfordern, laß dir nicht den Schneid abkaufen. Sollte es zu extrem werden im Umgang und beim Training, hole dir bitte lieber gleich eine professionelle Unterstützung. Weret den Anfängen! Wenn sich Muster erstmal etabliert haben, wird es nicht nur gefährlicher, sondern auch mühsamer, diese wieder raus zu bringen.




Damit also auf allen Seiten weniger Streß entsteht, ist es so wichtig, sich vorher klar zu machen, was alles mit der Haltung eines eigenen Pferdes verbunden ist.

Über Geld reden wir ja gar nicht erst. Das weißt du ja eh, daß dein süßes Pelztier ein umgekehrter Goldesel ist. Vorne wirft man Gold rein und was hinten raus kommt - naja, das weißt du ja.


Wenn du dir ein Pferd kaufst, ist es nicht selbstverständlich, daß du ein Schätzchen mit dem Will-to-Please bekommst. Es erfordert unter Umständen unendlich viele Stunden an Arbeit, zu einem harmonischen Team zusammen zu wachsen. Rückschläge inklusive.


Es ist nicht nur das Pferd, eine bestimmte Rasse, die du schön findest und dir auserwählt hast, das bestimmte Anforderungen an dich stellt. Auch das Alter oder - wie in folgender Geschichte illustriert - die Haltungsform:


Da ist Anna. Ihr absoluter Traum war schon immer, das Pferd in Eigenregie am Haus zu halten. Nun weiß sie immerhin, daß man ein Pferd allein nicht halten darf. Also hat sie sich mal eine kleine Gruppe von drei Pferden ausgesucht. Da war zunächst Zaunbau für Koppeln und Paddock angesagt. Ein großer Unterstand wurde geschaffen, der als Offenstall fungieren sollte, aber mit Türen auch abschließbar war. Eine Wasseranlage wurde errichtet, um Pferde sommers wie winters mit Wasser zu versorgen und natürlich wurde ein Futterplatz gebaut. Neben der Arbeit hat dies natürlich auch einen ganzen Batzen ihrer Ersparnisse aufgebraucht. Es gibt dann eben die täglichen Arbeiten wie zweimal täglich misten, ggf. auch die Koppeln. Außerhalb der Weidesaison drei- oder viermal täglich Heufütterung. Während der Weidesaison die Pferde morgens auf die Koppel bringen, abends reinholen, zusätzlich etwas Heu füttern. Jeden Tag dafür sorgen, daß die Pferde Zugang zu frischem Wasser haben. Pferde auf Verletzungen hin anschauen, pflegen, Hufe auskratzen. Ggf. mit Medikamenten versorgen. Putzplätze fegen etc. Das sind Arbeiten - die stehen 365 Tage im Jahr, jahrein, jahraus an. Egal bei welchem Wetter, egal ob man müde ist, ob man Kopfschmerzen und hämmernde Migräne hat oder sonstige Zipperlein und Wehwechen. Eigentlich auch sogar egal, ob man ein gebrochenes Bein hat oder Lungenentzündung. Die Pferde müssen versorgt sein. Täglich PUNKT Dann müssen die Hufe alle fünf Wochen bearbeitet werden (egal ob mit oder ohne Eisen). Zähne müssen kontrolliert und entsprechend in Schuß gehalten werden. Wenn irgendeine Krankheit anliegt muß das Pferd tierärztlich versorgt werden usw. (Kostet übrigens alles...). Dann natürlich auch die Materialpflege, Sattel und Zaumzeug pflegen, kaputtes und verschlissenes Material ersetzen. Letzteres gilt auch für Besen, Harken, Schubkarren, Zäune usw. Heu einkaufen und einlagern. Mistlage wegfahren. Koppeln jährlich pflegen und bearbeiten. Anna hat sehr schnell bewußt feststellen können wie sehr diese Arbeit ihr Leben taktet. Aber sie ist gerne draußen mit den Pferden und die Arbeit macht ihr nichts aus. Allerdings würde sie auch schon gern mal wieder bei ihren Freunden mitreden können, die begeistert von einem Urlaub am Meer oder dem letzten Wochenendausflug mit dem Kanu auf den schönen Seen erzählen. Es gibt so in ihrem Leben im Verhältnis doch mehr Arbeits- als Entspannungsphasen. Hinzu kommt, daß sie ja ihre Pferde reiten möchte. Ihr Lieblingspferd - eine große braune Stute - macht zu ihrem Kummer immer mehr Probleme unter dem Sattel. Sie reagiert oft heftig. Ein paar Stürze hat Anna nun schon hinter sich und mittlerweile traut sie sich nicht mehr ins Gelände. Sie liest alle möglichen Bücher zu diesem Thema und glaubt fest daran, daß sie das Problem schon lösen wird. Es gibt ja auch so „Unterstützungsmittelchen“ wie Hilfszügel und ein Gebiß, was ein bißchen schärfer ist... Aber wirklich besser wird es nicht. Leider eher im Gegenteil. Als Anna das Gefühl hat, das nun gar nichts mehr geht, holt sie sich doch Unterstützung von einem Ausbilder. Dieser arbeitet mit ihr und der Stute erst mal an Basics, damit der Rest wieder besser klappt. Dies ist eine sinnvolle und nutzbringende Arbeit, die allerdings weit entfernt ist von Annas Traum von romantischen Ausritten auf einem entspannten Pferd durch wunderschöne Landschaften. Immer wieder gibt es Rückschläge in der Ausbildung und Annas Geduld wird hart auf die Probe gestellt. Es gibt schon auch Fortschritte, aber wann wird sie wieder ausreiten können? Zu allem Überfluß hat das zweite Pferd einen Sehnenschaden bekommen. Es muß täglich gesalbt und bandagiert werden. Es muß getrennt von den anderen in der Krankenbox versorgt werden. Ab und zu soll es vorsichtig etwas geführt werden. Eine zusätzliche Belastung So sinkt Anna eines abends verschwitzt und erschöpft in ihren Sessel und die Fragen fangen an, sich bei ihr im Kopf zu drehen. Lebt sie wirklich ihren Traum? Soll sie so weiter machen? Schafft sie es, so über viele Jahre - auch körperlich - durchzuhalten? Macht ihr das alles bei der vielen Arbeit und auch immer neuen sich einstellenden Problemen noch Freude? Sie weiß es selbst nicht mehr. Sie hätte jetzt nur gern einmal ganz in Ruhe eine Wellness-Massage.


Pferde bringen sehr viel Ansprüche mit. Ansprüche an Versorgung, Haltung und - nicht zu unterschätzen - die Ausbildung über dessen Dimensionen viele sich vorher in ihren Vorstellungen nicht im klaren waren. Traum und Wirklichkeit von dem harmonischen Beisammensein mit dem Pferd und das Erreichen desselben klaffen oft weit auseinander.


Damit man nicht eines Tages hart auf dem Boden der Realität aufprallt, macht es sehr viel Sinn, sich vorher eingehend mit dem Thema zu befassen, und sich dann zu entscheiden. Man entscheidet sich schließlich, ein Lebewesen zu adoptieren.


Sollte es schwierig sein in deinem Leben mit deinem Traum, gib nicht auf. Sei aber auch nicht zu stolz und hole dir fachmännische Unterstützung. Zeitnah! Erleichtere dir dein Leben. Es ist keine Schande, Fehler zu machen und dann dazu jemanden um Hilfe und Rat zu fragen. Im Gegenteil. Die größere Schande wäre es, darauf zu beharren, den Weg der Fehler weiter zu gehen, weil dein Ego nicht zugeben mag, daß du Fehler machst. Aber das ist der Weg des Lernens: Fehler machen, sie anschauen, sie verändern und abschalten.

Dein Pferd wird es dir danken, denn es möchte auch, daß du zufrieden, glücklich und in deiner Mitte bist. Genau dafür wird es dich lieben.


Trotz Arbeit und Mühe: Viel Spaß und Geduld mit deinem Pferd und vor allem mit dir selbst wünscht dir


Patricia



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